Aminosäuren sind mit ihren vielfältigen Funktionen für alle Lebensformen unverzichtbar. Man unterscheidet proteinogene Aminosäuren, die Bausteine von Peptiden oder Proteinen sind, von nicht proteinogenen Aminosäuren, die im Körper andere Funktionen übernehmen (z.B. als Neurotransmitter).
Insgesamt gibt es beim Menschen 21 proteinogene α-Aminosäuren, wobei 20 klassische (kanonische), durch spezifische Codons codierte Aminosäuren sind; hinzu kommt Selenocystein, das kein eigenes Codon besitzt. Die proteinogenen Aminosäuren unterteilt man weiter in essenzielle, nicht essenzielle und semiessenzielle Aminosäuren. Für den Menschen sind acht der 21 Aminosäuren essenziell, können also vom Körper nicht selbst hergestellt, sondern müssen mit der Nahrung aufgenommen werden. Nicht essenzielle Aminosäuren kann er dagegen in ausreichender Menge synthetisieren. Semiessenzielle Aminosäuren können vom Körper zwar produziert werden, sie sind aber unter bestimmten Bedingungen (z.B. schwere Verletzungen, Wachstum, körperliche Belastung) essenziell und müssen dann zugeführt werden.
Grundstruktur von Aminosäuren
Die 21 proteinogenen Aminosäuren des Menschen besitzen die gleiche Grundstruktur aus einem zentralen α-C-Atom, an das vier Substituenten gebunden sind:
eine Aminogruppe (-NH2)
eine Carboxygruppe (-COOH)
ein Wasserstoffatom (-H)
eine Seitenkette, die für jede Aminosäure charakteristisch ist (-R)
Die Seitenkette einer Aminosäure kann u.a. polar oder unpolar, schwefelhaltig, aromatisch oder aliphatisch sein (Strukturformeln der 20 klassischen proteinogenen Aminosäuren im Bild). Mit Ausnahme von Glycin ist das α-C-Atom bei allen proteinogenen Aminosäuren asymmetrisch substituiert und bildet damit ein Chiralitätszentrum. Betrachtet man eine Aminosäure in der Fischer-Projektion, unterscheidet man nach dem D/L-System zwei Konfigurationen:
D-Aminosäuren: die NH2- bzw. -Gruppe steht rechts vom α-C-Atom
L-Aminosäuren: die NH2- bzw. -Gruppe steht links vom α-C-Atom
In Proteinen des menschlichen Körpers kommen nur L-Aminosäuren vor.

Aminosäure
Grundstruktur einer Aminosäure.
(aus Endspurt Biologie, Thieme, 2015)Chemische und physikalische Eigenschaften
Mit Ausnahme von Glycin zeigen alle proteinogenen Aminosäuren eine optische Aktivität, sie drehen also linear polarisiertes Licht. Außerdem verleihen die Amino- und Carboxygruppe wie auch die unterschiedlichen Seitenketten den Aminosäuren charakteristische chemische Eigenschaften. Die Polarität der Aminosäuren (bzw. ihrer Seitenkette) beeinflusst z.B. deren Wasser- bzw. Fettlöslichkeit. Allen Aminosäuren ist jedoch gemein, dass sie sowohl in fester als auch flüssiger Form als Zwitterionen (hier im Bild) vorliegen können, d.h., die Aminogruppe ist protoniert (positiv geladen) und die Carboxygruppe deprotoniert (negativ geladen). Dies ist allerdings nur bei einem spezifischen pH-Wert der Fall. Dieser pH-Wert wird als isoelektrischer Punkt (pI, auch IP) bezeichnet und ist von Aminosäure zu Aminosäure unterschiedlich. Aminosäuren weisen daher auch unterschiedliche Titrationskurven (hier im Bild) auf.
Die (protonierte) Aminogruppe kann als Protonendonator fungieren, ist nach Brønsted also eine Säure. Die Carboxygruppe kann Protonen aufnehmen und ist daher eine Base. Verbindungen, die sowohl als Säure als auch als Base dienen können, nennt man Ampholyte.
Peptidbindung und Proteinstruktur
Aminosäuren können über Peptidbindungen (hier im Bild) miteinander verknüpft werden. Dabei reagiert die Aminogruppe der einen Aminosäure unter Abspaltung von Wasser mit der Carboxygruppe einer anderen Aminosäure. Bei dieser Reaktion entsteht eine amidartige Verknüpfung, die man als Peptidbindung bezeichnet. Ketten aus mehreren Aminosäuren nennt man Peptide bzw. Proteine. Sind 3–10 Aminosäuren miteinander verknüpft spricht man von Oligopeptiden. Verbindungen mit 10–100 Aminosäuren werden häufig Polypeptide genannt, ab 100 Aminosäuren spricht man im Allgemeinen von Proteinen; typisches Merkmal von Proteinen ist jedoch außerdem ihre definierte Raumstruktur (Tertiärstruktur). Aufgrund der unterschiedlichen Kriterien (Zahl der Aminosäuren, Raumstruktur) ist die Abgrenzung zwischen diesen Gruppen also eher fließend. So ist Insulin mit seinen 51 Aminosäuren und seinen Disulfidbrücken durchaus ein Protein (es gilt als das kleinste Protein des Menschen).
Peptide oder Proteine erfüllen im menschlichen Körper vielfältige Aufgaben:
Biokatalysatoren (Enzyme)
Signalstoffe (Peptid- oder Proteohormone)
Transporter (Kanäle und Carrier)
Speichersubstanzen
biologische Motoren (Aktin u. Myosin)
Strukturelemente (z.B. Zytoskelett)
Ihre biologische Funktion wird bestimmt von ihrer Struktur oder Konformation, die auf vier Ebenen beschrieben werden kann – Primär-, Sekundär-, Tertiär- und Quartärstruktur.
Primärstruktur
Die Primärstruktur beschreibt die Aminosäuresequenz, d.h. die Abfolge der einzelnen Aminosäuren innerhalb der Kette. Die einzelnen Aminosäuren der Kette werden über Peptidbindungen verknüpft. Das Kettenende mit der freien Carboxygruppe wird Carboxyterminus (C-Terminus) genannt, das andere Ende mit freier Aminogruppe Aminoterminus (N-Terminus).
Die Information über die Aminosäuresequenz ist in der Nucleotidsequenz der DNA codiert (genetischer Code). Die DNA wird zunächst in einem als Transkription bezeichneten Vorgang in mRNA umgeschrieben. Im Zuge der Translation wird diese dann von Ribosomen in die Aminosäuresequenz eines Proteins übersetzt.
Sekundärstruktur
Die Sekundärstruktur ist die lokale räumliche Struktur eines Proteins, die durch die Ausbildung von Wasserstoffbrücken zwischen den CO- und NH-Gruppen der Aminosäuren entsteht. Typische Sekundärstrukturen sind die schraubenförmige α-Helix (hier im Bild) und das ziehharmonikaähnliche β-Faltblatt (hier im Bild).
Tertiärstruktur
Die Tertiärstruktur beschreibt die dreidimensionale Struktur des gesamten Proteins. Stabilisiert wird die Tertiärstruktur von Kräften (Übersicht hier im Bild), die zwischen den Seitenketten der Aminosäuren wirken, wie:
Wasserstoffbrücken zwischen Gruppen der Seitenketten
Disulfidbrücken (kovalente Bindungen, die durch Dehydrierung zweier Cysteinreste entstehen)
Ionenbindungen zwischen positiv und negativ geladenen Gruppen der Seitenketten
hydrophobe Wechselwirkungen, die im Inneren der Proteine auftreten und Wassermoleküle verdrängen
Dipol-Dipol-Wechselwirkungen
Die Proteine nehmen ihre korrekte räumliche Struktur (Faltung) spontan oder mithilfe von Faltungshelferenzymen und Chaperonen ein.
Quartärstruktur
Funktionelle Proteine können sich aus mehreren Untereinheiten zusammensetzen. Die Quartärstruktur beschreibt die räumliche Anordnung der verschiedenen Polypeptidketten (Untereinheiten) eines Proteins. Die Anzahl der Untereinheiten kann unterschiedlich sein – z.B. vier Untereinheiten beim Hämoglobin (hier im Bild) und 20 Untereinheiten beim Apoferritin.

Bindungstypen in Proteinen
An der Ausbildung der Tertiärstruktur sind verschiedene Arten von Bindungen beteiligt: 1 = Wasserstoffbrücke; 2 = Disulfidbrücke; 3 = ionische Wechselwirkungen; 4 = hydrophobe Wechselwirkung; aus dem farbig hervorgehobenen Bereich wird Wasser herausgedrängt
(nach Endspurt Biochemie 1, Thieme, 2013)
β-Faltblatt-Strukturen
Oben: antiparalleles β-Faltblatt. Unten: paralleles β-Faltblatt. Die Wasserstoffbrücken zwischen den verschiedenen Peptidsträngen sind farbig gestrichelt.
(aus Endspurt Biochemie 1, Thieme, 2013)
Aminosäuren als Zwitterionen
Das Proton wird intramolekular übertragen, sodass eine Aminosäure mit zwei ionisierbaren Gruppen in neutralen wässrigen Lösungen als Zwitterionen vorliegt.
(nach Endspurt Chemie, Thieme, 2013)
Quartärstruktur von Hämoglobin
Je zwei α- und zwei β-Untereinheiten bilden ein Tetramer. Jede Untereinheit kann ein Sauerstoffmolekül binden. Die vier Hämgruppen sind rot dargestellt.
(nach Rassow et al., Duale Reihe Biochemie, Thieme, 2012)
α-Helix
Die Wasserstoffbrücken werden zwischen dem H-Atom der NH-Gruppe einer Peptidbindung und dem O-Atom einer CO-Gruppe einer zweiten Peptidbindung gebildet, die 4 Aminosäuren voneinander entfernt liegen. Sie sind punktiert gezeichnet.
(aus Endspurt Biochemie 1, Thieme, 2013)
Peptidbindung
Kondensation von zwei beliebigen Aminosäuren zu einem Dipeptid. Die dabei geknüpfte Peptidbindung ist farbig hervorgehoben.
(nach Endspurt Biochemie 1, Thieme, 2013)
Titrationskurve von Alanin mit Natronlauge
Alanin besitzt zwei ionisierbare Gruppen, die Carboxy- und die Aminogruppe. Zu Beginn der Titration, bei sehr geringem pH-Wert, sind beide Gruppen protoniert. Im Verlauf der Titration werden die beiden Protonen abgespalten. Die farbig hinterlegten Rechtecke, deren Mittelpunkte die Halbäquivalenzpunkte pK1 bzw. pK2 bilden, sind die Regionen mit der höchsten Pufferkapazität. pI, isoelektrischer Punkt
(nach Endspurt Biochemie 1, Thieme, 2013)
Strukturformeln der 20 klassischen proteinogenen Aminosäuren
In Klammern stehen der Drei- und der Ein-Buchstaben-Code. pI gibt den isoelektrischen Punkt an.
(nach Endspurt Biochemie 1, Thieme, 2013)