Die Finanzierungssysteme der Gesundheitsversorgung
Gesundheitssysteme dienen der Absicherung der Bevölkerung gegen das Krankheitsrisiko. Je nach Art der Finanzierung werden heute weltweit drei grundlegende Versorgungssysteme unterschieden. Betrachtet man einzelne nationale Gesundheitssysteme, entsprechen diese allerdings in der Regel nicht vollständig einem dieser Typen, sondern stellen meist Mischformen dar.
Sozialversicherungssystem (Bismarck-Modell)
In Deutschland gibt es ein Sozialversicherungssystem (Bismarck-Modell). Das bedeutet, dass die Gesundheitsleistungen über die gesetzlichen Krankenversicherungen finanziert werden. Arbeitgeber und Arbeitnehmer teilen sich die gesetzlich vorgeschriebenen Sozialversicherungsbeiträge, deren Höhe sich nach dem Bruttoarbeitslohn richtet.
Die medizinischen Gesundheitsleistungen werden von privaten und öffentlichen Anbietern (Ärzte, Krankenhäuser, Gesundheitsämter, etc.) erbracht. Es werden Vertragsärzte für die ambulante Versorgung eingebunden.
Neben Deutschland gibt es dieses Modell der Gesundheitsversorgung z. B. auch in Belgien, Frankreich, Österreich, Luxemburg.
Reichskanzler Bismarck führte im Jahr 1883 in Deutschland weltweit die erste gesetzliche Krankenversicherung ein, daher werden Sozialversicherungssysteme auch als Bismarck-Modelle bezeichnet.
Staatlicher Gesundheitsdienst (Beveridge-Modell)
Das Beveridge-Modell ist ein Gesundheitssystem, bei dem ein nationaler Gesundheitsdienst mit zweckgebundenen Steuern finanziert wird. Die medizinische Versorgung erfolgt über öffentliche Versorgungseinrichtungen und ist praktisch für jeden Bürger kostenlos. In Großbritannien sind Fachärzte in Krankenhäusern Regierungsangestellte, praktische Ärzte stehen mit der Regierung in vertraglicher Beziehung.
Der Aufbau des National Health Service in Großbritannien wurde stark durch den Ökonom William Henry Beveridge beeinflusst. Daher werden nationale Gesundheitsdienste, wie z. B. in Italien, Dänemark, Norwegen und Kanada, auch Beveridge-Modelle genannt.
Semashko-Modell
In der UdSSR gab es ein zentral geplantes, staatliches Versorgungssystem mit freiem Zugang für die Gesamtbevölkerung. Der Staat war Leistungsanbieter, Verwalter und Finanzierer (durch Steuern).
Privates System
In Amerika gibt es ein privatwirtschaftliches (marktwirtschaftliches) Gesundheitssystem, bei dem es keine Versicherungspflicht gibt. Der größte Teil der amerikanischen Bevölkerung ist privat krankenversichert. Die Gesundheitsversorgung erfolgt hauptsächlich durch private Anbieter. Sie wird durch Markt- und Wettbewerbsmechanismen reguliert.Die Finanzierung des Systems erfolgt überwiegend aus privaten Mitteln der Versicherten.
Seit 2014 wurde mit der „patient protection and affortable care act“ (PPACA) – in der politischen Auseinandersetzung als „Obamacare“ bezeichnet –, eine Versicherungspflicht für die meisten Einwohner der USA eingeführt.
Deutsches Gesundheitssystem
Die Krankenversicherung sorgt dafür, dass der Kranke keine wirtschaftlichen Nachteile durch Behandlungskosten und Verdienstausfall hat. In Deutschland ist es Pflicht, eine Krankenversicherung zu haben. Ungefähr 90% der deutschen Bevölkerung sind gesetzlich krankenversichert. Beispiele für gesetzliche Krankenkassen sind die AOK, die BARMER GEK, die Techniker Krankenkasse oder die BKK. Die restlichen 10% der Einwohner sind privat versichert. Private Krankenversicherungsanbieter sind beispielsweise die Debeka oder die Allianz.
Das deutsche Gesundheitssystem ermöglicht Konkurrenzverhältnisse zwischen Herstellern von Geräten und Arzneimitteln, niedergelassenen Ärzten, Krankenhäusern sowie den gesetzlichen Krankenversicherungen.
Gesetzliche Krankenversicherung
Die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) ist ein Zweig der Sozialversicherung und eine Pflichtversicherung für Arbeiter und Angestellte unterhalb einer festgelegten Einkommensgrenze (Jahresarbeitsentgeltgrenze, JAEG; nichtamtlich: Versicherungspflichtgrenze) von brutto ca. 5400 € pro Monat bzw. 64350 €/Jahr sowie für Rentner, Arbeitslose, Studenten und Landwirte (Stand 2021). Die gesetzliche Krankenversicherung ist ein Bestandteil der Sozialversicherung (Sozialversicherung = gesetzliche Kranken-, Unfall-, Renten-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung). Die Sozialversicherung baut in Deutschland auf dem Prinzip der Solidarität (und nicht dem Äquivalenzprinzip) auf.
Unter allen Zweigen der Sozialversicherung ist die Pflegeversicherung der jüngste, da sie erst in den 1990er Jahren eingeführt wurde.
Das Solidarprinzip der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) besagt, dass die Höhe des Krankenkassenbeitrags am Einkommen des Versicherten gemessen wird. Alle Mitglieder bezahlen den gleichen festgelegten Prozentsatz ihres Einkommens über den Gesundheitsfonds als Beiträge an die Krankenversicherung und erhalten dafür die identische Leistungen. Der Beitragssatz liegt seit Januar 2021 bei 14,6% des Bruttogehalts. Nicht berufstätige Ehepartner und Kinder sind in der gesetzlichen Krankenversicherung kostenlos mitversichert. Ab einer bestimmten Einkommensgrenze (sog. Beitragsbemessungsgrenze; im Jahr 2021: 58050 € brutto pro Jahr) bleibt der Krankenkassenbeitrag jedoch konstant und steigt nicht mehr mit dem Einkommen an. D.h. bei höherem Einkommen wird der Monatsbeitrag nicht höher als 14,6% von 4838 €. Der Beitragssatz wird gemeinsam von Arbeitgebern und Arbeitnehmern getragen. D.h. der Arbeitgeber übernimmt 7,3% des Gesamtbetrags, genau wie der Arbeitnehmer.
Die pauschalen Zusatzbeiträge, die bis Ende 2014 gegolten haben, wurden im Januar 2015 abgeschafft. Ein Zusatzbeitrag wird von den Krankenkassen seitdem als prozentualer Satz von den beitragspflichtigen Einnahmen erhoben. Somit ist kein Sozialausgleich mehr erforderlich. Alle Versicherten besitzen unabhängig von der jeweiligen Beitragszahlung, vom Krankenrisiko und dem Familienstand den gleichen Leistungsanspruch. Kinder und Ehepartner sind beitragsfrei mitversichert.
Die Versicherten können aus einer Vielzahl von Krankenkassen auswählen. Die Mitgliedschaft in der GKV ist freiwillig für Selbstständige und für Angestellte über der o.g. Einkommensgrenze; für diese besteht alternativ die freie Wahl für eine private Krankenversicherung. In der GKV Versicherte können private Zusatzversicherungen abschließen. Selbstständige und Arbeitnehmer mit einem Jahreseinkommen von über 64350 € brutto haben die Möglichkeit, zwischen einer gesetzlichen oder einer privaten Krankenversicherung zu wählen. Diese sog. Jahresarbeitsentgeltgrenze wird jährlich neu berechnet.
Die Leistungen der Krankenkasse richten sich nach den individuellen Bedürfnissen einer Person. Sie werden nur bei Notwendigkeit erbracht. Der Risikostrukturausgleich ist ein finanzieller Ausgleich zwischen den Krankenkassen.
2004 wurden mit dem Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherungen medizinische Versorgungszentren gegründet. Sie sind ein Zusammenschluss aus Ärzten verschiedener Fachrichtungen und anderen Therapeuten wie Physiotherapeuten oder Psychotherapeuten. Ziel dieser Versorgungszentren ist die Verkürzung der Behandlungswege und damit Einsparung der Kosten.
Private Krankenversicherung
Die privaten Krankenversicherungen (PKV) sind nicht am Gesundheitsfonds beteiligt. In der PKV gilt das Äquivalenzprinzip, d.h. die Prämienhöhe (Beitragshöhe) ist von eigenen Risikomerkmalen (wie Alter und Vorerkrankungen) und dem Umfang des Versicherungsschutzes abhängig. Außerdem werden Alter, Geschlecht und Beruf und gewünschte tariflichen Leistungen einbezogen. Die Prämie ist sozusagen dem Risiko äquivalent. Beiträge werden für jedes Familienmitglied erhoben. Über die gesamte Vertragslaufzeit balancieren sich Versicherungsleistungen und Versicherungsbeiträge gegenseitig aus (= Leistungsäquivalenz). Privatversicherte müssen zunächst in Vorleistung treten und bekommen das Geld zurückerstattet (Kostenerstattungsprinzip). Die Patienten zahlen dabei, unabhängig vom Risiko, einen nach ihrem Tarif festgelegten Beitrag für eine bestimmte Leistung und erhalten so auch Einsicht in die tatsächlichen Kosten ihrer Behandlung. Arbeitnehmer können einer privaten Krankenversicherung nur beitreten, wenn ihr Einkommen über der Versicherungspflichtgrenze liegt.
Risikoselektion
Für alle Versicherungen und somit auch die gesetzlichen Krankenkassen ist es profitabel, Menschen mit einem geringen Gesundheitsrisiko zu versichern – denn sie zahlen mehr Beiträge ein, als sie Kosten verursachen (= günstige Kostenstruktur). Darum sind die Krankenkassen bemüht, sehr viele junge, gesunde Mitglieder zu werben.
Ambulante und stationäre Versorgung
Eine weitere Besonderheit des deutschen Systems ist die Unterteilung der Ärzteschaft in eine ambulante und eine stationäre Versorgung. Laut Bundesärztekammer waren 2021 knapp 164 000 Ärzte ambulant tätig.
In der ambulanten Versorgung werden niedergelassene Allgemeinärzte und andere Fachärzte zur Verfügung gestellt. Der Patient hat die freie Arztwahl. In Deutschland gilt für alle gesetzlich krankenversicherten Patienten das Sachleistungsprinzip. Das bedeutet, dass der gesetzlich versicherte Patient über seinen Krankenkassenbeitrag das Recht zur ärztlichen Versorgung erwirbt und der Arzt mit der Krankenkasse, nicht mit dem Patienten, seine Leistungen abrechnet. Die Patienten erhalten also ohne direkte finanzielle Transaktionen Gesundheitsleistungen. In vielen anderen europäischen Ländern zahlt der Patient seine Behandlung zunächst selbst und bekommt den Betrag von der Krankenkasse später erstattet. Der Arzt wird indirekt, nämlich über den Umweg der kassenärztlichen Vereinigung, honoriert. Der Patient dagegen hat keine Einsicht in die von ihm verursachten Kosten.
Die stationäre Versorgung ist durch folgende Punkte charakterisiert:
Die Leistungen für die stationäre Versorgung werden bei Patienten der GKV über die Krankenkassen abgerechnet.
Die Kosten für die stationäre Versorgung sind in den letzten Jahren gestiegen (sie machen mit den größten Anteil der Leistungsausgaben der gesetzlichen Krankenversicherungen aus), während die Verweildauer der Patienten abgenommen hat.
Es gibt Maßnahmen, die ambulante und stationäre Versorgung enger miteinander vernetzen sollen (= integrierte Versorgung). Dies wird beispielsweise umgesetzt, wenn Krankenkassen sektorenübergreifend mit Leistungserbringern (niedergelassene Ärzte, Apotheker, Krankenhäuser etc.) Regelungen über z. B. pauschalisierte Vergütungen für bestimmte Patientengruppen beschließen.
Fallpauschalenprinzip
Jeder Krankheitsfall wird nach der Diagnose-Related-Groups (DRG) eingeordnet und demensprechend vergütet. Das DRG-System ist seit 2004 verpflichtend für die Abrechnung von Krankenhäusern mit den Krankenkassen. Die Einordnung erfolgt anhand verschiedener Kriterien, darunter Haupt- und Nebendiagnosen, im Krankenhaus durchgeführte Maßnahmen sowie verschiedene patientenbezogene Faktoren. Vor Einführung der DRGs wurde ein tagesgleicher Pflegesatz gezahlt, weshalb die Höhe der Vergütung maßgeblich von der Verweildauer abhängig war. Dies ist heute nicht mehr der Fall, obwohl die Verweildauer ebenfalls in den DRGs berücksichtigt wird.
Direkte und indirekte Gesundheitskosten
Direkte Gesundheitskosten sind die Kosten, die anfallen, um Patienten zu behandeln (z. B. ärztliche Leistungen, Medikamente). Zu den indirekten Gesundheitskosten zählen z. B. Kosten durch Produktivitätsausfall.
Übrigens: Laut statistischem Bundesamt waren 2021 die Gesundheitsausgaben mit etwa 441 Mrd. Euro die höchsten Ausgaben im deutschen Gesundheitssystem. Im Vergleich dazu lagen die Ausgaben für Leistungen zu Hilfsmitteln, Prävention, Unterkunft/Verpflegung und Verwaltung zwischen 14 und 31 Mrd. Euro.
Risikostrukturausgleich
Im Rahmen des Risikostrukturausgleichs erfolgten bis zum Jahr 2009 Ausgleichszahlungen zwischen den gesetzlichen Krankenversicherungen. Dadurch wurden Unterschiede, z. B. bezüglich der Häufigkeit und Qualität von Krankheitsrisiken der Versicherten kompensiert. Heute entspricht der Risikostrukturausgleich den differenzierten Zuweisungen der Gelder an die Krankenkassen aus dem Gesundheitsfonds.
Rentenversicherung
Ab dem Beginn des Rentenalters leistet die Rentenversicherung die monatliche Zahlung der Rente ab bis zum Tode des Versicherten. Der Ruhestand ist gesetzlich festgelegt. Die Grenze variiert ab und zu leicht nach unten oder nach oben. Dies hängt von vielen Faktoren ab. Die Gesetzliche Rentenversicherung (GRV) ist wie die GKV ein Teil der Sozialversicherung und eine Pflichtversicherung für nicht selbstständige Arbeitnehmer und Auszubildende. Die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung, also Bundes- und Regionalträger der Körperschaften des öffentlichen Rechts bilden gemeinsam die Deutsche Rentenversicherung. Ihre Träger sind die Deutsche Rentenversicherung Bund mit Sitz in Berlin und die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See (DRV KBS) mit Sitz in Bochum.
Neben der regulären Rentenzahlung zählen zu den Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung auch die
Präventionsmaßnahmen,
Rehabilitationsmaßnahmen (z. B. Anschlussbehandlung nach einem Herzinfarkt) und
die Erwerbsminderungsrente.
Laut Sozialgesetzbuch sind diejenigen Personen erwerbsunfähig, die aufgrund einer Krankheit oder Behinderung keine regelmäßige Erwerbstätigkeit mehr ausüben oder nur geringe Einkünfte erzielen können. Um eine krankheitsbedingte verminderte Erwerbsfähigkeit abzuwenden, können medizinische oder berufsfördernde Rehabilitationsmaßnahmen genehmigt werden. Dabei gilt die Aussage: „Reha vor Rente“.