Allgemeines
Die Gluconeogenese ist ein anaboler Stoffwechselweg. Sie dient der Glucosesynthese und damit der Aufrechterhaltung des Blutglucosespiegels von ca. 5 mmol l–1 auch während der Postresorptions- und Hungerphase, wenn der Glykogenvorrat in der Muskulatur und in der Leber verbraucht ist. Bei Nahrungsmangel werden zwar verstärkt Fettsäuren aus dem Fettgewebe freigesetzt, von anderen Geweben aufgenommen und zur Energiegewinnung genutzt, doch sind einige Gewebe auf die Versorgung mit Glucose angewiesen. Insbesondere für das Gehirn, die Erythrozyten (die keine Mitochondrien besitzen) und die Zellen des Nierenmarks (die nur wenige Mitochondrien enthalten) ist die Gluconeogenese ein sehr wichtiger Stoffwechselweg. Der Glucoseverbrauch im Gehirn macht mit ca. 120 g pro Tag etwa 75 % des Gesamtglucosebedarfs von ca. 160 g aus. In Fastenzeiten benötigen Gehirn und Erythrozyten je ca. 50 g Glucose, die über die Gluconeogenese hergestellt werden müssen. Anders als die Erythrozyten kann das Gehirn jedoch auch auf Ketonkörper, die bei längerer Nahrungskarenz von der Leber gebildet werden, als Ersatzenergieträger zurückgreifen. Die für die Gluconeogenese erforderliche Energie stammt zum Großteil aus der β-Oxidation der Fettsäuren zu Acetyl-CoA, also aus dem Abbau von Triacylglycerinen.
Die Gluconeogenese findet überwiegend in Leber und Niere statt. Nur diese beiden Organe sind mit dem vollständigen Satz an Enzymen für die Gluconeogenese ausgestattet. Mehr zur genaueren Lokalisierung der Gluconeogenese in der Niere findest du hier.
Ausgangsverbindung der Gluconeogenese ist meist Pyruvat, das mithilfe eines Transporters in die Mitochondrien gelangt. Nicht-Kohlenhydrate wie Lactat, Aminosäuren und Glycerin, die Vorstufen der Gluconeogenese sind, werden zunächst in Pyruvat umgewandelt. Andere Verbindungen wie Oxalacetat und Dihydroxyacetonphosphat treten an anderen Stellen in die Gluconeogenese ein.

Reaktionen der Glykolyse und der Gluconeogenese im Überblick
(Quelle: Rassow et al., Duale Reihe Biochemie, Thieme, 2022)Reaktionen der Gluconeogenese
In der Glykolyse wird Glucose in Pyruvat umgewandelt, in der Gluconeogenese Pyruvat in Glucose. Beide Stoffwechselwege teilen sich viele Zwischenprodukte und Enzyme. Die Gluconeogenese ist also im Prinzip eine Umkehrung der Glykolyse – das gilt jedoch nicht uneingeschränkt, eine direkte Umkehrung ist thermodynamisch nicht möglich. Bei 3 Reaktionen der Glykolyse ist die Änderung der freien Enthalpie () stark negativ, sie sind also praktisch irreversibel, d.h., sie müssen umgangen werden. Es handelt sich um folgende Reaktionen der Glykolyse:
Hexokinase: Glucose → Glucose-6-phosphat
Phosphofructokinase-1: Fructose-6-phosphat → Fructose-1,6-bisphosphat
Pyruvatkinase: Phosphoenolpyruvat → Pyruvat
In der Gluconeogenese werden für Umgehung dieser Reaktionen die folgenden 4 Enzyme, die teilweise in verschiedenen Kompartimenten vorkommen, benötigt:
Pyruvatcarboxylase (Mitochondrien)
Phosphoenolpyruvat-Carboxykinase (PEP-Carboxykinase; Zytosol)
Fructose-1,6-bisphosphatase (Zytosol)
Glucose-6-phosphatase (glattes endoplasmatisches Retikulum)

Reaktionen der Glykolyse und der Gluconeogenese
(Quelle: Rassow et al., Duale Reihe Biochemie, Thieme, 2022)Im Folgenden werden die Reaktionen der Gluconeogenese einzeln besprochen.
Pyruvat + CO2 + ATP + H2O → Oxalacetat + ADP + Pi
Mithilfe der Pyruvatcarboxylase wird die 10. Reaktion der Glykolyse (Pyruvatkinase-Reaktion) umgangen. Die Pyruvatcarboxylase katalysiert den ersten, geschwindigkeitsbestimmenden Schritt der Gluconeogenese: die Carboxylierung von Pyruvat unter ATP-Verbrauch zu Oxalacetat. Die Reaktion findet in den Mitochondrien statt. Coenzym der Pyruvatcarboxylase ist Biotin. Das Biotin ist über die ε-Aminogruppe eines Lysinrestes kovalent an das Enzym gebunden und dient als Überträger von CO2. (Genau genommen reagiert zunächst ATP mit zu einem Carboxyphosphat, das CO2 dann auf Biotin überträgt.) In diesem Schritt wird die Hydrolyse von ATP genutzt, um die Carboxylierung von Pyruvat anzutreiben. Die Pyruvatcarboxylase ist ein allosterisches Enzym und spielt bei der Regulation der Gluconeogenese eine Rolle.
Oxalacetat muss nun für die weiteren Reaktionen ins Zytosol transportiert werden. Da es die Mitochondrienmembran nicht passieren kann, wird es in eine der folgenden membrangängigen Substanzen umgewandelt:
Malat (Enzym: Malatdehydrogenase II des Citratzyklus): Oxalacetat wird zu Malat reduziert. Dieses gelangt ins Zytosol und wird dort von der Malatdehydrogenase I wieder zu Oxalacetat oxidiert. Dabei wird NADH gewonnen, das von der Glycerinaldehyd-3-phosphat-Dehydrogenase (GAPDH) der Gluconeogenese benötigt wird.
Das zytosolische Malat kann auch vom Malatenzym in einer reversiblen Reaktion oxidativ zu Pyruvat und CO2 gespalten werden. Dabei entsteht NADPH, das für reduktive Biosynthesen zur Verfügung steht.Aspartat (Enzym: Aspartattransaminase, AST): Die AST überträgt eine Aminogruppe von Glutamat auf Oxalacetat, sodass Aspartat entsteht (Transaminierung). Aspartat gelangt ins Zytosol und wird dort von einer zytosolischen AST wieder in Oxalacetat umgewandelt, indem die Aminogruppe des Aspartats auf α-Ketoglutarat übertragen wird.
Citrat (Enzym: Citratsynthase des Citratzyklus): Die Citratsynthase wandelt Oxalacetat mit Acetyl-CoA in Citrat um. Das Citrat gelangt ins Zytosol und wird dort von der ATP-abhängigen Citratlyase wieder in Oxalacetat und Acetyl-CoA gespalten. Acetyl-CoA kann im Zytosol u.a. für die Fettsäuresynthese genutzt werden.

Transport des Oxalacetats durch die Mitochondrienmembran
Die Pyruvatcarboxylase carboxyliert Pyruvat unter Verbrauch von ATP zu Oxalacetat. Das Oxalacetat wird nun ins Zytosol transportiert. Für die Passage durch die Mitochondrienmembran gibt es 3 Möglichkeiten: als Malat, das durch Reduktion von Oxalacetat entsteht, als Aspartat, das durch Transaminierung von Oxalacetat entsteht, und als Citrat, das mithilfe von Acetyl-CoA aus Oxalacetat gebildet wird. Malat, Aspartat und Citrat passieren mithilfe von Transportern die Membran. Aus ihnen wird im Zytosol wieder Oxalacetat gebildet. AST, Aspartattransaminase
(Quelle: Königshoff, Brandenburger, Kurzlehrbuch Biochemie, Thieme, 2018)Oxalacetat + GTP ⇌ Phosphoenolpyruvat + GDP + CO2
Mithilfe der Phosphoenolpyruvat-Carboxykinase wird ebenfalls die 10. Reaktion der Glykolyse (Pyruvatkinase-Reaktion) umgangen. Die PEP-Carboxykinase (PEP-CK) im Zytosol decarboxyliert Oxalacetat zu Phosphoenolpyruvat. Bei dieser Reaktion wird ein GTP verbraucht. Außerdem wird das CO2, das im vorherigen Schritt von der Pyruvatcarboxylase an Pyruvat addiert worden ist, wieder abgespalten. Die PEP-Carboxykinase ist das entscheidende Schlüsselenzym der Gluconeogenese. Bei der Reaktion wird das hohe Gruppenübertragungspotenzial des GTP genutzt, um eine Phosphorylgruppe auf Oxalacetat zu übertragen. Zusätzlich treibt die Decarboxylierung die Reaktion an. Auch die PEP-Carboxykinase ist ein Kontrollpunkt zur Regulation der Gluconeogenese.
Das gebildete Phosphoenolpyruvat wird nun von den Enzymen der Glykolyse zur Synthese von Fructose-1,6-bisphosphat genutzt, wenn die intrazellulären Bedingungen die Gluconeogenese begünstigen. Die Reaktionsschritte der Glykolyse laufen in umgekehrter Richtung ab, bis mit der Hydrolyse von Fructose-1,6-bisphosphat zu Fructose-6-phosphat die nächste irreversibe Reaktion erreicht ist, die umgangen werden muss.
Die folgenden 6 Reaktionen 3–8 werden also von Enzymen der Glykolyse katalysiert. In diesen Reaktionen wird das energiereiche Zwischenprodukt Phosphoenolpyruvat über Glycerinaldehyd-3-phosphat zu Fructose-1,6-bisphosphat umgesetzt.
Phosphoenolpyruvat + H2O ⇌ 2-Phosphoglycerat
Die Enolase hydratisiert Phosphoenolpyruvat zu 2-Phosphoglycerat.
2-Phosphoglycerat ⇌ 3-Phosphoglycerat
Die Phosphoglyceratmutase isomerisiert 2-Phosphoglycerat zu 3-Phosphoglycerat, indem sie die Phosphorylgruppe umlagert.
3-Phosphoglycerat + ATP ⇌ 1,3-Bisphosphoglycerat + ADP
Die Phosphoglyceratkinase überträgt eine Phosphorylgruppe von ATP auf das C1-Atom von 3-Phosphoglycerat, sodass 1,3-Bisphosphoglycerat entsteht.
1,3-Bisphosphoglycerat + NADH + H+ ⇌ Glycerinaldehyd-3-phosphat + NAD+ +Pi
Die Glycerinaldehyd-3-phosphat-Dehydrogenase reduziert 1,3-Bisphosphoglycerat zu Glycerinaldehyd-3-phosphat unter Freisetzung von anorganischem Phosphat.
Für den weiteren Glucoseaufbau werden 2 Glycerinaldehyd-3-phosphate bzw. 1 Glycerinaldehyd-3-phosphat und 1 Dihydroxyacetonphosphat benötigt.
Glycerinaldehyd-3-phosphat ⇌ Dihydroxyacetonphosphat
Die Triosephosphatisomerase isomerisiert Glycerinaldehyd-3-phosphat zu Dihydroxyacetonphosphat.
Glycerinaldehyd-3-phosphat + Dihydroxyacetonphosphat ⇌ Fructose-1,6-bisphosphat
Die Aldolase A bildet nun in einer Aldoladdition aus den beiden C3-Körpern Glycerinaldehyd-3-phosphat (GAP; Glyceral-3-phosphat) und Dihydroxyacetonphosphat (DHAP; Glyceron-3-phosphat) den C6-Körper Fructose-1,6-bisphosphat.
Die folgende Reaktion ist wieder eine Umgehungsreaktion.
Fructose-1,6-bisphosphat + H2O → Fructose-6-phosphat + Pi
Mithilfe der Fructose-1,6-bisphosphatase wird die dritte Reaktion der Glykolyse (Phosphofructokinase-1-Reaktion) umgangen. Die Fructose-1,6-bisphosphatase wandelt Fructose-1,6-bisphosphat durch Abspaltung der Phosphorylgruppe in Fructose-6-phosphat um. Die chemische Energie der Phosphatbindung geht als Wärme verloren. Wie die Phosphofructokinase-1 der Glykolyse ist auch die Fructose-1,6-bisphosphatase ein allosterisches Enzym, das an der Regulation der Gluconeogenese beteiligt ist.
Fructose-6-phosphat ⇌ Glucose-6-phosphat
Fructose-6-phosphat wird von dem glykolytischen Enzym Glucose-6-phosphat-Isomerase zu Glucose-6-phosphat isomerisiert.
Die folgende Reaktion ist wieder eine Umgehungsreaktion.
Glucose-6-phosphat + H2O → Glucose + Pi
Mithilfe der Glucose-6-phosphatase wird die erste Reaktion der Glykolyse (Hexokinase-Reaktion) umgangen. Die im glatten endoplasmatischen Retikulum (sER) zur luminalen Seite hin lokalisierte Glucose-6-phosphatase dephosphoryliert Glucose-6-phosphat zu freier Glucose. Glucose-6-phosphat wird über den Transporter T1 in das sER aufgenommen. Glucose verlässt das sER über den Transporter T3, der auch als GLUT7 bezeichnet wird, in Richtung Zytosol. Aus dem Zytosol wird die Glucose über weitere Transporter wie GLUT2 ins Blut freigesetzt. Die Glucose-6-phosphatase ist nur in Leber und Niere vorhanden, nicht im Muskel.
Für das Glucosegleichgewicht im Körper spielt das Vorkommen der Glucose-6-phosphatase in Leber und Niere eine wichtige Rolle. Die Leber und in einem lange Zeit unterschätzten Maß auch die Nieren synthetisieren freie Glucose und geben sie an die Blutbahn ab, wodurch sie dem restlichen Organismus zur Verfügung steht. Der Muskel wiederum kann keine freie Glucose, sondern nur Glucose-6-phosphat herstellen (dies geschieht auch im Zuge der Glykogenolyse) und füllt damit seinen eigenen Glykogenspeicher; so ist bei Bedarf die sofortige Bereitstellung von Energie möglich.
Ein Defekt in der Glucose-6-phosphatase ist die Ursache der hepatorenalen Glykogenose (Morbus von Gierke), eine Glykogenspeicherkrankheit.
Energiebilanz der Gluconeogenese
Die Synthese von einem Glucosemolekül in der Gluconeogenese erfordert 6 energiereiche Nucleosidtriphosphate. In der Glykolyse liefert der Abbau von Glucose netto 2 ATP. Das Verhältnis von in der Glykolyse erzeugten zu den in der Gluconeogenese verbrauchten Nucleosidtriphosphaten ist also 1:3. Die zur Gluconeogenese erforderliche Energie stammt zum Großteil aus der β-Oxidation der Fettsäuren, also aus dem Abbau von Triacylglycerinen.
Enzym | Reaktion | Gewinn an Nucleosidtriphosphaten |
Pyruvatcarboxylase | Pyruvat + CO2 + ATP + H2O → Oxalacetat + ADP + Pi | –1 ATP (×2) |
Phosphoenolpyruvat-Carboxykinase | Oxalacetat + GTP ⇌ Phosphoenolpyruvat + GDP + CO2 | –1 GTP (×2) |
Phosphoglyceratkinase | 3-Phosphoglycerat + ATP ⇌ 1,3-Bisphosphoglycerat + ADP | –1 ATP (×2) |
Summe: | –3 ATP bzw. GTP (×2) | |
Für die Synthese von 1 mol Glucose sind 2 mol Pyruvat notwendig und daher insgesamt 6 Nucleosidtriphosphate. |
Gluconeogenese
Mithilfe dieses Videos (deutsche Sprache) kannst du die wesentlichen Elemente der Gluconeogenese wiederholen. Auch werden Glykolyse und Gluconeogenese ausführlich miteinander verglichen (Lernvideo zum Endspurt-Biochemieposter).
In das Video hat sich ein kleiner Fehler eingeschlichen: Die beiden Malatdehydrogenasen sind vertauscht. Korrekt ist: Malatdehydrogenase I befindet sich im Zytosol, Malatdehydrogenase II befindet sich im Mitochondrium.